Diese Worte stammen aus dem Buch Testo Junkie, in dem der Queer-Theory-Liebling Paul B. Preciado erstmals seine soziologische Analyse des sogenannten «pharmako-pornographischen Biokapitalismus» präsentiert. Angelehnt an Foucaults Analyse der Biomacht als Gesamtheit der Machttechniken, die das Leben der Bevölkerung regulieren, geht Preciado davon aus, dass sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts in den westlichen Nationen eine «Somato-Macht» (somos=Körper) herausgebildet hat.

In dieser Macht gehen eine biologische und eine semiotische Dimension Hand in Hand. Die biologische Dimension ist pharmakologisch, da unsere Körper immer mehr durch Drogen reguliert sind, sei es durch Pille, Viagra, Red Bull, Nikotin, Kortison, Prozac usw. Die semiotische Dimension ist pornografisch. Die Pornifizierung der Gesellschaft betrifft zum einen den Bereich der Sexualität, wie allein die wirtschaftliche Bedeutung des Porno-Sektors beweist, der entscheidenden Einfluss auf die kollektive Vorstellungskraft nimmt.

Zum anderen ist aber auch die Ökonomie einer Pornifizierung unterworfen. Die Sex­industrie mit ihrem Modell des minimalen Einsatzes, von direkten Verkäufen und unmittelbarer Konsumbefriedigung, ist laut Preciado zum Vorbild aller Produktion geworden. «There is no work that isn’t destined to produce a hard-on», formuliert er spitz.

Laut Preciado sind wir also alle Teil des Körper-Proletariats: Unsere Körper sind entfremdet und konstruiert durch komplexe Technologien, deren Wirkung und Zugang jedoch verschleiert und zutiefst ungerecht verteilt bleiben, geprägt u.a. durch binäre, rassifizierte und heteronormative Herrschaftsgefälle.

Die politische Forderung aus dieser Gesellschaftsanalyse ist der technosomatische Kommunismus – ein hacking bestehender hegemonialer Systeme durch subversive Aneignung ihrer Werkzeuge und Körpertechniken.

Die tägliche Verabreichung von synthetischem Testosteron etwa, die Preciado im Selbstversuch unternimmt, hat für ihn also keineswegs das Ziel, innerhalb eines Systems vorgesehene Wege wie etwa von weiblich nach männlich zu beschreiten, sondern ebenjenes System in eine Krise zu stürzen. Aneignung der Körperproduktionsmittel für die Befreiung vom Bio-Kapitalismus, für freie Körper, die sich nicht mehr innerhalb festgefahrener Kategorien verwerten und ausbeuten lassen.

Testo Junkie war eins der Narrative, das mich ermächtigte, Testosteron in Gelform zu verwenden. Was mich daran besonders ansprach, war die zugespitzt politische Dimension, weit weg von Mainstream-Transnarrativen, die ich bis dahin kannte: «I do not want the female gender that has been assigned to me at birth. Neither do I want the male gender that transsexual medicine can furnish and that the state will award me if I behave in the right way. I don‘t want any of it.» Und weiter «I decide to keep my legal identity as a woman and to take testosterone without subscribing to a sex change protocol. It‘s a bit like biting the dick that‘s raping you, the pharmacopornographic system‘s dick.»

Verschiedene Transpersonen mögen sich in diesem Narrativ wiederfinden, oder auch gar nicht – das Entscheidende für mich ist die zugrundeliegende Analyse und Frage: Was ‹macht› unsere Körper und Identitäten? Und wie viel Einfluss haben wir darauf?

Dass wir alle einem komplexen Mix aus körperformenden Technologien sowie Narrativen ausgesetzt sind, lässt sich nicht leugnen. Das Problem ist die mehr oder minder verschleierte ideologische Dimension, die gewisse Körper und Normen als ‹natürlich› zementiert und somit Abweichung erschwert und bestraft. Wer aktiv gegen diese Normen geht, merkt deren ideologischen Charakter sehr schnell – wie eben auch viele Transpersonen.

Die Macht, diese hegemonialen Narrative zu kontrollieren, liegt im Biokapitalismus vor allem bei Wirtschaft, Politik und Wissenschaft.

In seinem Buch illustriert Preciado etwa auch am Beispiel der Anti-Baby-Pille, welche Rolle hegemoniale Gender-, Race- und Klassen-Narrative bei deren Entstehung spielten.

Die ersten Anti-Baby-Pillen, die in ärmeren, nichtweißen dominikanischen Haushalten getestet wurden, lösten keine künstliche Menstruation aus. Als die Pille allerdings für den US-amerikanischen Markt weiterentwickelt wurde, gaukelte diese eine ‹natürliche› Periode vor, was aus dem Bestreben erklärt wurde, ein gewisses Bild von (weißer, US-amerikanischer) Weiblichkeit aufrechtzuerhalten. Auf ähnliche Weise dienen etwa Viagra und Testosteron als Werkzeuge, um Männlichkeitsnarrative aktiv mitzukonstruieren.

Am Beispiel von Testosteron lässt sich die Frage nach hegemonialen Körperdiskursen besonders gut verdeutlichen, wird es doch als biologisch unumstößliches ‹Männlichkeitshormon› par excellence konstituiert. Preciado möchte es aus dieser männlichen Domäne befreien: «Nothing allows us to conclude that the effects produced by testosterone are masculine. The only thing that we can say is that, until now, they have as a whole been the exclusive property of cis-males.«

Trotzdem wurde ich beim Lesen seiner tagebuchartigen Beschreibungen testosteron­induzierter Euphorie das Gefühl nicht ganz los, das selbst Preciado noch gewisse gegender­te Klischees reproduziert. Ein unwohles Gefühl, das mich auch oft beschlich, wenn ich die Beschreibungen anderer Transpersonen hörte, die von höherer Aggressivität auf Testosteron berichteten, von ihrer Unfähigkeit zu weinen oder dem Impuls, andere sexuell zu objektifizieren.

Ich fragte mich, wie konnte ich so viel sozio­politische Hoffnung auf körperverändernde Techniken setzen, wenn ich mich gleichzeitig als Feminist*in stets dagegen wehre, zwingende kausale Zusammenhänge zwischen biologischen Merkmalen und sozialem Verhalten zu knüpfen?

Und im Spezifischen: Wie kann es gelingen, Testosteron eine ermächtigende Wirkung zuzuschreiben, ohne wieder in essentialistische Vorstellungen über gegenderte Eigenschaften zu verfallen? Und wie lassen sich nachgewiesene physiologische Effekte überhaupt von dem trennen, was wir als Einzelne und als Gesellschaft Testosteron zuschreiben?

«Ich fragte mich, wie konnte ich so viel soziopolitische Hoffnung auf körperverändernde Techniken setzen, wenn ich mich gleichzeitig als Feminist*in stets dagegen wehre, zwingende kausale Zusammenhänge zwischen biologischen Merkmalen und sozialem Verhalten zu knüpfen?»

Letzterer Frage widmet sich auch das 2019 erschienene Buch Testosterone: An unauthorized biography, welches hegemoniale Diskurse rund um Testosteron im Spezifischen analysiert. Die soziomedizinische Wissenschaftlerin Rebecca M. Jordan-Young und die Kulturanthropologin Katrina Karkazis haben in jahrelanger Arbeit den Großteil an wissenschaftlicher Forschung zu Testosteron analysiert, um zu zeigen, wie tief Stereotypen und Annahmen über Gender, Race, Klasse etc. wissenschaftliches Arbeiten bestimmen und in Folge kollektive Diskurse prägen.

Nacheinander zerlegen sie mit großer Präzision alte und neue Studien zu den wichtigsten Charakteristiken, die in der Forschung immer wieder auf die eine oder andere Weise mit Testosteron verknüpft werden: Fruchtbarkeit, Aggressivität, Risikobereitschaft, Sportlichkeit, Fähigkeit zum Caretaking. Dabei zeigen die beiden Autorinnen wieder und wieder auf, wie Studien sich ihre Daten und Parameter so zurechtlegten, bis sie ihre eigenen Vorurteile beweisen konnten, wissenschaftliche Forschungskriterien dabei oftmals mit Füßen traten und trotzdem den wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs rund um Testosteron bis heute mitprägen. Narrative wie der vom «aggressivmachenden Testosteron» sind für sie Zombie Facts, für die es bei genauerer Betrachtung keine wissenschaftliche Beweise gibt, die aber trotzdem nicht totzukriegen sind.

Besonders spannend ist dabei ihr Kapitel zur vermeintlichen Verbindung zwischen Macht und Testosteron. Die Autorinnen analysieren darin eine Studie zu sogenanntem «Power-­Posing» von Amy Cuddy, Sozialpsychologin an der Harvard Business School. Das Einnehmen bestimmter expansiver Körperhaltungen, die Selbstbewusstsein und Dominanz ausdrücken, soll demnach nicht nur Testosteronlevel anheben, sondern dafür sorgen, dass wir auch tatsächlichen Erfolg im Leben haben. Die Bedingungen der Studie wurden von anderen Wissenschaftler*innen massiv kritisiert, und Cuddy gab zu, dass etwa die Verbindung zu Testosteronlevel nicht haltbar war. Trotz der wissenschaftlichen Kritik hielt sich das öffentliche Interesse an der Grundthese jedoch hartnäckig, versprach sie doch etwas extrem Verlockendes: Eine individuelle, von jede*m einsetzbare Lösung, um das eigene Leben zu verbessern. Warum sich bemühen, strukturelle Ungleichheiten zu bekämpfen, wenn ich einfach zehn Minuten lang eine Power-Pose einnehmen kann, bevor ich meine*n Chef*in konfrontiere?

Ähnlich dazu könnten Hormone und andere «Körpertechnologien» als für alle zugängliche Ressourcen gesehen werden, mit dem Potenzial, neue Beziehungen und Verhältnisse zwischen Körpern und mächtigen Kategorien herzustellen. Aber diese Fantasie bedarf einer klar vorhersehbaren Kette an Reaktionen – und so funktionieren Hormone und andere chemische Substanzen meist nicht. So gibt es bis heute auch kein wissenschaftlich nachgewiesenes Verhältnis zwischen hohem Testosteron und ‹Erfolg› – oder generell Charaktereigenschaften und Verhaltensmuster, die über körperlich Sicht- und Messbares hinausgehen.

Testosteron und Östrogen können verlässlich dazu benutzt werden, Gender zu hacken, indem sie unser Äußeres verändern. Aber ein Umsturz gesellschaftlicher Machtverhältnisse wäre wohl erst einem kollektiven Body-Hacking zuzutrauen, das Cisnormativität und patriarchale Machtstrukturen nachhaltig auflöst. Was auf individueller Ebene ermächtigen kann, lässt sich auch nicht so schnell hochskalieren. Macht wird nicht nur über unsere Körper reproduziert, sondern auch durch die materielle Welt darüber hinaus – sie zieht sich durch alles, was uns umgibt.

Trotzdem bleibt als erster wichtiger Schritt die Erkenntnis, dass so etwas wie ‹Natürlichkeit› in unserer menschengemachten Gesellschaft nicht existiert und Machtgefälle damit niemals unveränderbar sind. Komplexe Narrative lesen lernen ist der erste Schritt zur Ermächtigung –was daraus folgt, sind keine einfachen Lösungen und keine einfachen Erzählungen.