Für Milliarden Menschen auf der Welt ist sie schon lange Realität – wenn wir sie als das begreifen, was sie ist: Ein Resultat und eine Verschärfung der multiplen Krisen von globaler sozialer Ungleichheit,  Ausbeutung und Aneignung von Arbeitskraft und Ressourcen, von Entrechtung, Marginalisierung und Unterdrückung, die seit Jahrhunderten in verschiedenen Ausformungen von Herrschaftsverhältnissen praktiziert werden.

Die Klimakrise kann uns Hoffnung geben, weil sie, wenn wir ihr auf den Grund gehen, erzählen kann, was alles schief läuft in dieser Welt. Sie ist der physikalische Beweis dafür, dass der Kapitalismus das Leben auf diesem Planeten zerstört. Klimagerechtigkeit – als intersektionale Perspektive, die nicht nur antikapitalistisch, sondern auch feministisch, antirassistisch und antifaschistisch ist – kann unsere Kämpfe verbinden und den Weg weisen in eine Welt, in der Alle ein Leben in Würde führen können. Und sie mobilisiert – endlich – ganz viele Menschen, rund um die Welt, die auf die Straße gehen, die Schule bestreiken oder die Orte der Zerstörung aufsuchen und sie blockieren.

Und die internationale Klimapolitik? Die schleppt sich, Jahr um Jahr, von Verhandlung zu Verhandlung – und es ist immer noch 5 vor 12. Während in den letzten bald drei Jahrzehnten internationaler Klimaverhandlungen zwar kein wirksamer Klimaschutz erreicht wurde – im Gegenteil: auch in 2019 steigen die globalen Emissionen weiter –, so wurde das Deckmäntelchen der liberal-institutionellen Handlungsfähigkeit doch recht lange aufrecht erhalten. In Zeiten des globalen Rechtsrucks und des erodierenden Multilateralismus wird mittlerweile (wieder) viel unverhohlener klima- und menschenfeindliche Politik gemacht.

Und wo lässt das uns? Mit dem Wissen, dass die politischen Eliten die Brüche, die grundlegende Veränderung unserer Gesellschaften, unserer Art, miteinander umzugehen und mit der Natur, die uns umgibt und mit der wir untrennbar verbunden sind, nicht liefern werden. Dass wir im Kampf für Klimagerechtigkeit nicht auf eine kapitalistische Staatenwelt ­setzen und hoffen können. Weil sie die Kapitalinteressen schützt und durchsetzt, Menschen abschiebt und ertrinken lässt und das Elend nur verwaltet. Dass die notwendige Transformation viel tiefer greift als die Frage nach CO2-Molekülen in der Atmosphäre.

Und gleichzeitig ist die Klimakrise ein Dilemma – sie ist so viel größer als wir. Und gerade weil wir mit dieser Erde so unausweichlich verbunden sind, gibt es kein Entkommen. Die Klimakrise macht Angst, das Ausmaß und das Gewicht ihrer Zerstörung können uns lähmen und handlungsunfähig machen. Und die Zeit rennt. Wann ist es zu spät? Ist es jemals zu spät? Welche Utopie kann es geben – auch in ökologischen Ruinen?

Inmitten dieser Widersprüchlichkeit, diesem Drahtseilakt zwischen Hoffnung und Verzweiflung, veröffentlichen wir diese arranca!-Ausgabe. Sie versucht, Klimagerechtigkeit und die Kämpfe dafür intersektional – antikapitalistisch, feministisch, antirassistisch und antifaschistisch – zu denken. Sie schaut zurück, blickt sich in der Gegenwart nach rechts und links um, und nach vorne.

2008 fragte die arranca!-Ausgabe Nr. 38 «Wem gehört der Klimawandel?». Klima und Klimawandel waren damals in aller Munde, es fehlte aber eine radikale Infragestellung der gesellschaftlichen Strukturen, Produktions- und Lebensweisen, die ursächlich für den von Menschen gemachten Klimawandel sind, und eine soziale Bewegung, die dem Kampf für Klimagerechtigkeit einen Ausdruck gibt. Heute melden wir uns in Zeiten einer breit aufgestellten Klimagerechtigkeitsbewegung zu Wort. Wir widmen uns ihren strategischen Ansätzen und dem gesellschaftlichen Diskurs um Utopien und Perspektiven der notwendigen sozial-ökologischen Transformation.

Zwei Wiener Klimaaktivist*innen machen den Aufschlag: Am Beispiel der österreichischen sozialpolitischen Auseinandersetzungen analysieren sie die Klimakrise als «Brandbeschleunigerin» für autoritäre Gesellschaftsformationen. Sie begreifen Klimagerechtigkeit aber auch als ein hoffnungsvolles Moment, einen ‹Hebel› zur Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse im Sinne einer sozial-ökologischen Wende.

Über die Geschichte der Kämpfe für eine klimagerechte Transformation im deutschsprachigen Raum berichten zwei Aktivist*innen im Gespräch mit der arranca!-Redaktion. Sie zeichnen die Entwicklung der Klimagerechtigkeitsbewegung, ihre Erfolge und Schwierigkeiten nach und verorten sie in der gegenwärtigen politischen Situation. Das Bündnis Ende Gelände und die Massenaktionen zivilen Ungehorsams sind Thema weiterer Auseinandersetzungen in diesem Heft: Welche Rolle spielt der bewusste, kollektive Regelübertritt, um den Korridor des Sagbaren, des politisch Machbaren zu verschieben? Welche Form braucht radikaler Inhalt? Und wie kann und sollte die Stimme des grundsätzlichen Dissens in existierende politische Entscheidungsprozesse – Stichwort «Kohlekompromiss» – intervenieren?

Auch bei Fridays for Future – den streikenden Schüler*­innen und Studierenden – spielt das Moment der Verweigerungshaltung eine wichtige Rolle. Nicht nur das: Am 8. März demonstrieren, kämpfen und streiken Frauen* weltweit. Ein Artikel diskutiert daher die Frage, wie Schüler*innen- und feministischer Streik voneinander lernen und sich gegenseitig stärken könnten.

Und wie verbinden eigentlich Menschen in anderen Regionen Ideen eines neuen Gesellschaftsaufbaus mit sozial-ökologischen Visionen? Hierfür blicken wir nach Rojava in Nordsyrien. Bei der Kampagne «Make Rojava Green Again» steht der Aufbau einer sozial-ökologischen Gesellschaft im Mittelpunkt, die Ökologie, Feminismus und radikale Demokratie als untrennbare Säulen der Revolution erkennt. Der Beitrag über die indigene Gemeinschaft der Quispillacta von Ayacucho in Peru wirft Fragen zum Verhältnis zwischen Mensch und Natur auf und der Rolle, die Imperialismus in dieser anthropozentrischen – dieser zivilisatorischen – Krise spielt.

Visionen und Utopien spielen auch für Klimaaktivist*­innen von Ende Gelände eine große Rolle. Klima-Camps sind Orte der inhaltlichen und politischen Verständigung in der Klimagerechtigkeitsbewegung, aber sie machen auch eine reale Utopie – im Kleinen, und für begrenzte Zeit, aber überhaupt: erlebbar.

Hoffnung und Inspiration im Kleinen und in konkreten sozialen Kämpfen sind unerlässlich – ohne sie können wir nicht gewinnen.  Aber es braucht auch die Perspektive neuer Makro-Horizonte. Einen solchen kann die solidarische Postwachstumsökonomie darstellen, argumentieren zwei Autor*innen. Dafür, dass die Eigentumsfrage und die Perspektive einer Vergesellschaftung der Wirtschaft nicht nur für soziale Gerechtigkeit, sondern auch für ökologische und Ressourcengerechtigkeit dringend auf den Tisch muss, plädieren zwei andere Aktivist*innen.

In diesem Heft drehen sich viele Fragen auch darum, an welchen strategischen Orten die Klimabewegung in den kommenden Jahren ansetzen könnte. Zwei große Kampagnen werden den Spätsommer in diesem Jahr prägen: So plädieren Aktivist*innen dafür, sich die Automobilindustrie und die industrielle Landwirtschaft, inklusive der industriellen Tierproduktion mit den unwürdigsten Bedingung der Tierhaltung, als nächste Kampffelder vorzunehmen und den aktionistischen Fokus auf eine Blockade der Internationalen Automobilaustellung (Iaa) in Frankfurt und des Düngemittelkonzerns Yara bei Hamburg zu legen.

Mehrere Beiträge beschäftigen sich mit ökofeministischen Perspektiven auf den Klimawandel. Darin werden analytische Verbindungen gezogen zwischen der Objektivierung und Ausbeutung von Frauen* und der Natur und der falsche Antagonismus zwischen «uns» und «denen» sowie «der Natur» und «der Menschheit» sichtbar gemacht. Darin wird auch ein Schlaglicht auf feministische Utopien für eine posthumane Zukunft geworfen.

Zugleich macht der globale Rechtsruck das dystopische Potential der Klimakrise noch einmal deutlich greifbarer. Was bedeutet Klimawandel und -politik unter rechten, unter autoritären Vorzeichen? Ein Artikel zeigt auf, warum Klimagerechtigkeit stets auch ein antifaschistischer Kampf sein muss.

Es gibt Kipppunkte im Klimasystem, hinter denen es kein Zurück gibt. Wenn ‹wir› nicht schnell handeln, treibt unser Planet auf unbekannte und ungekannte Abgründe zu. Wenn wir dieses unumstößliche Wissen an uns heranlassen, dann ist da vor allem eines zu spüren:  Verzweiflung, vielleicht Hoffnungslosigkeit. Sie wird auch dafür missbraucht, disruptive Großtechnologien wie Geoengineering in den Köpfen zu normalisieren. Ein*e Autor*in bezeichnet Geoengineering als eine Kampfansage an Klimagerechtigkeit und die Bewegungen, die dafür kämpfen: Es ist das reaktionäre, autoritäre und systemerhaltende Gegenprojekt.

Der Wille, die Verzweiflung, eine Welt zu retten, die eine bessere Welt, eine Utopie, für die die (radikale) Linke schon vor den Zeiten des (bewussten) Klimawandels gekämpft hat, überhaupt noch zulässt, treibt viele Aktivist*innen an, immer mehr zu machen, immer effektiver zu arbeiten, immer schneller zu sein. Und gegen uns spielt die Zeit. Verdrängung von Angst und  Verletzung scheint der einzige Weg, handlungsfähig zu bleiben. Im Interview mit der arranca!-Redaktion berichtet ein*e Aktivist*in offen über ihren Burn-Out und ihre Traurigkeit. Der Frage, was die Klimakrise mit uns individuell und als Gesellschaft(en) macht, wollten wir einen extra Artikel widmen, doch verhinderte die Traurigkeit des Themas und der permanente Zeitdruck unserer Autor*in das Schreiben dieses Artikels. Dafür widmet sich ein*e Gesundheitsaktivist*in der Verbindung von Klima- und Gesundheitsgerechtigkeit und wie in beiden Feldern die Suche nach ‹einfachen Lösungen› auch dazu dient, die zugrundeliegenden Ursachen zu verschleiern.

Der letzte Beitrag blickt nach vorne und fragt nach dem Potential von «Kommunismus in Zeiten des Klimawandels» – als Hoffnung auf eine befreite Gesellschaft in dystopischen Zeiten.

Eure arranca!-Redaktion im Mai 2019